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Band of Horses – Things Are Great (VÖ 04.03.22)

Mit „Things Are Great“ veröffentlichen Band Of Horses ihr sechstes Studioalbum, das gleichzeitig den ersten Longplayer seit mehr als fünf Jahren darstellt. Das Album erscheint am 4. März via BMG. Klanglich repräsentiert das Album die Rückkehr zu ihrem frühen Werk und dem eher rohen Sound, dem sich Band Of Horses schon immer verpflichtet gefühlt haben.

Sie mögen die einzige Band gewesen sein, die wirklich in der Lage war, die allgemeine Stimmung von Angst und Verwirrung der Twenty-Somethings in den frühen Millenial-Jahren einzufangen und in so kraftvolle und inklusive Kunst zu verwandeln. Band Of Horses haben es vollbracht, widerspenstige Epen zu komponieren. Songs, auf denen sich Ben Bridwells erhabene Vocals und seine exzentrische Artikulation wie eine schemenhafte Gestalt über ausladenden Klanglandschaften bewegten, die sich wie das langsame Abdriften in einen Traum anfühlten. Stücke, die ständig zwischen zwei Polen oszillierten: Dunkel und hell, Stärke und Verletzlichkeit, Gleichgültigkeit und Hingabe, Hoffnung und Verzweiflung, wobei die Hoffnung immer eine klitzekleine Nasenlänge Vorsprung hatte. 

Bandgründer Bridwell ist einerseits ein ebenso scharfsinniger wie auch begeisterter Geschichtenerzähler, andererseits auch ein unermüdlicher Beobachter menschlicher Macken und der besonderen Schönheit unserer Fehlfunktionen und Dysfunktionalität. Mit der sensiblen Wahrnehmungsfähigkeit einer nahezu allsehenden Seele; ständig wachsam und in Erwartung des nächsten Schlaglochs, Fallgrube oder des berühmten Monsters unter dem Bett. Immer ein wenig argwöhnisch, was das Glück und das menschliche Miteinander angeht. Geprägt von einer spürbaren Tiefe, Wahrheit und oft auch nur von schlichten, handgemachten Lebensratschlägen sind die Songs von Band Of Horses zu Hymnen avanciert. Zu Mantras und zu Maßstäben für ihre Fans.

„Was das angeht, bin ich mir nicht so sicher“, erklärt Bridwell von der Veranda seines Hauses irgendwo außerhalb von Charleston, South Carolina, während seine ungestüme Hundedame Lucille ausgelassen im Vorgarten tobt.

„Es ist immer ein irgendwie überwältigendes Gefühl, von der Rolle zu erfahren, die man im Leben anderer Menschen spielt. Und wie die Songs sie in ihren wichtigen Momenten begleiten; sei es, wenn sie sich verlieben, sich trennen oder einen geliebten Menschen verlieren. Ich denke, das verbindende Element aller Band Of Horses-Alben ist, dass ich mich ständig über irgendetwas beschwere“, fügt Bridwell in lachender Bescheidenheit hinzu. 

Doch alleine der Begriff Beschwerde würde wohl nicht annähernd beschreiben, was das Schaffen Bridwells tatsächlich auszeichnet. Er zeigt den Weg; ist ebenso Prophet wie auch Musiker, dessen Antennen mit unglaublicher Sensibilität Bedrohung, Zwietracht und mentale Probleme aufspüren, noch lange, bevor der Rest von uns diese Gefahren überhaupt ahnt. In seinen Songs schlägt er Alarm, das Unheil in knackige Gitarren und vielschichtige, manchmal auch trügerisch zerbrechliche Klänge kleidend. Und auch seine Vocals – sehnsüchtig, schwermütig, ätherisch – spiegeln eben jene lyrische Besorgnis wider, während sie eine nicht unwesentliche universelle Gültigkeit transportieren: Niemals so speziell oder persönlich jedoch, dass sein Publikum die Stücke nicht auf sich selbst beziehen und eigene Interpretationen finden könnte. 

In Musik gegossenes Unbehagen; angefangen bei der beunruhigt läutenden Gitarre des Album-Openers „Warning Signs“ – einem Song, der von einem Zwischenfall im Jahr 2016 inspiriert wurde, bei dem Bridwell seine Stimme auf der Bühne des Sydney Opera House verlor. Vor versammeltem australischen Publikum und mit Tränen in den Augen. Doch aufmerksame Zuhörer:innen des 2016 erschienenen Albums „Why Are You OK“ mögen schon damals erste Anzeichen von Unzufriedenheit und einem dezenten Frösteln in der wunderbaren Luft South Carolinas festgestellt haben; einem Ort, den der Sänger gerne „Happyville“ nannte. „Why Are You OK“ schien einige der Themen auf „Things Are Great“ schon damals vorweggenommen zu haben, wie gerade der „OK“-Track „Casual Party“ und der Closing-Track „Even Still“ mit seinen Unheil verkündenden letzten Zeilen „But I could just leave/I could just leave, oh“ deutlich machen.

„Ich glaube, das war der Moment, in dem unsere Wiedergeburt begann. Wir gaben schon einen Hinweis auf dem letzten Album, während wir noch im anderen Line-Up spielten“, so Bridwell weiter. „Es gab verschiedene Sachen, die einfach nicht funktioniert haben. Doch damals war ich mir nicht sicher, was genau das war.“

Doch nach gewisser Zeit und einem gewissen Abstand erkannte Bridwell schließlich das Problem und nahm Änderungen im Line-Up von Band Of Horses vor. Tyler Ramsey und Bill Reynolds verließen die Band im Mai 2017 – um endlich wieder ein wenig von den ungehobelten Emotionen und dem rauen Punk-Rock-Spirit aus den Tagen einzufangen, als man sich neu aus den Überresten der traurigen, opulenten Orchestral-Popband Carissa`s Wierd erfand. Bis auf Drummer Sera Cahoone bestanden alle Members dieser Seattle-Band aus Autodidakten.

„Ich habe als schlechter Drummer in einer Slowcore-Band begonnen, die sich irgendwann aufgelöst hat, weil sie zu nichts führte“, so Bridwell. „Plötzlich musste ich mir überlegen, wie ich (für diese Band) Gitarrenzeug spielen sollte. Also platzierte ich meine Hände so, wie es sich gut anfühlte, meine Finger auf dem Griffbrett und verstimmte die Saiten so, dass es gut zu spielen war. Ich musste nicht alle diese gottverdammten Akkorden lernen. Nun bin ich mit all diesen seltsamen Tunings gefangen, die überhaupt keinen Sinn mehr ergeben. Es ist ein extrem lächerliches Gefühl, sie gelernten Gitarristen oder Gitarrentechnikern zu zeigen. Es ist sehr schwer für sie, das Zeug in diesen Tunings zu spielen“, lacht Bridwell. „Ich habe viel ausprobiert, während ich dazugelernt habe. Doch rückblickend habe ich erkannt, dass meine Art zu spielen die Hauptidentität dieser Band ausmacht.“

Eine Aussage, die auch Drummer Creighton Barrett in einem Interview mit Relix unterstrich.

„Als wir begannen, auf Tour zu gehen, mussten wir sofort einen Gitarrentechniker engagieren, der die zwölf Gitarren, mit denen wir unterwegs waren, immer in ihrem jeweiligen Tuning gestimmt hielt. Ben wusste nicht, wie man eine Gitarre stimmt, dementsprechend entstanden alle Songs auf diesen seltsam gestimmten Instrumenten, die die Refrains und Akkorde vorgaben.“

Doch getrieben von seiner selbstbewussten Art in Bezug auf seine musikalischen Defizite stockte Bridwell das Line-Up seinerzeit mit namhaften Produzenten und erstklassigen Musikern auf.

„Schon früh hatte ich den Gedanken, dass wir bessere Spieler bräuchten – man darf nicht vergessen, dass es heute so viele Ex-Members dieser Band gibt“, bekennt Bridwell. „Es waren nicht nur Bill und Tyler, die ich zu gehen bat. Wenn man einmal auf Wikipedia schaut, sind dort mehr als zehn Namen von Ex-Musikern aufgeführt. Ein sich ständig veränderndes Line-Up.“ Er hält kurz inne, um schnell fortzufahren. „Ich hoffe, die Leute denken jetzt nicht, ich wäre skrupellos. Ich bin immer noch mit fast jedem befreundet, der einmal Mitglied in dieser Band war.“

„Das bedeutet nicht, dass ich Tyler (Ramsey) und Bill (Reynolds) geringschätzen würde. Sie sind gut. Sogar fast zu gut. Creighton, ich und selbst Ryan (Monroe, Keyboard) sind alle nahezu schon seit den Anfangstagen in dieser Band. (Doch nach dem letzten Album) fühlten wir uns alle ein wenig lustlos. Wir hatten dieses Profiband-Ding in diesem teuren Studio am Laufen – so eine Art Zeit-ist-Geld-Ding – doch für mich persönlich hat es einfach nicht funktioniert.“ Letzte Gewissheit brachten ihm die Demoaufnahmen, die er gleichzeitig mit einem jungen Soundengineer namens Wolfgang „Wolfie“ Zimmerman machte und die er vor den übrigen Bandmembers geheim hielt. 

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Ein Zeitpunkt, an dem er ersthaft über Band Of Horses nachdachte und was sich hier ändern musste. Ein Denkprozess, der kurze Zeit später im Weggang von Ramsey und Reynold resultierte. Außerdem erkannte Bridwell, mehr Kontrolle auf die Produktion ausüben zu müssen. Gemeinsam mit Zimmerman produzierte oder co-produzierte er sämtliche Songs des Albums, wobei er noch ein wenig Extra-Hilfe von Grandaddy-Mitglied Jason Lytle und Flaming Lips-Producer Dave Fridmann bekam. „Ich betrachte die Entscheidung, (das Album) zu produzieren nicht als eine Art Rebellion. Stattdessen ging es eher darum, mir wieder unseren – und auch meinen ganz persönlichen – Spirit und Aufrichtigkeit zurück zu erobern“, so der Musiker weiter. 

Heute bestehen Band Of Horses aus Ben Bridwell, den langjährigen Bandmembers Monroe und Barrett, Archers Of Loaf-Bassist Matt Gentling (der bereits im Jahr 2007 zur Livebesetzung von Band Of Horses zählte und ebenfalls auf einem Track des „Why Are You OK“-Albums zu hören war) sowie Gitarrist Ian MacDougall, seines Zeichens Frontmann von Broken Golden und bis 2017 der Merchandise-Manager von Band Of Horses. „Creighton und unser Tourmanager Bryan haben mich davon überzeugt, dass Ian wirklich gut spielen kann. Natürlich habe ich auf ihren Rat gehört und bin rückblickend sehr froh. Wenn dieses Album eines darstellt, dann eine Rückkehr zu uns selbst. It`s just fucking us.“

Einige der neuen Songs auf „Things Are Great“ spiegeln eben diesen ständigen Wechsel der Bandmitglieder wider, während andere die Veränderungen in Bridwells Leben abbilden. Und auch das, was sich nicht verändert hat. „Diese Platte erzählt die Geschichte verschiedener Beziehungen. Persönliche Beziehungen, meine Beziehung. Gleichzeitig will ich andere aber auch nicht ausgrenzen“, so Bridwell leise. „Es zeigt sogar, wie sich musikalische Beziehungen wandeln. Es gibt neue Beziehungen wie die, die ich heute mit Wolfie (Zimmerman) habe, der phasenweise mein kreatives Bewusstsein darstellte. Es gibt Beziehungen, die ich vertieft habe und welche, die zu Ende gegangen sind. Diese sind ebenfalls von Bedeutung. Die mit Matt, Ryan und Creighton. Und die zu den Leuten, die wieder in mein Leben getreten sind wie Dave Sardy, der `Infinite Arms` gemixt hat und auch das neue Album. Oder Jason Lytle, dem Producer von `Why Are You OK`, der auch auf dem neuen Werk mit von der Partie ist. Es gibt eine Menge von weiterhin andauernden Beziehungen, die in meinen Augen ebenfalls einen Teil dieser Geschichte ausmachen. Doch im Grunde ist diese Platte eine Reflexion der Weiterentwicklung und an welchem Punkt im Leben wir uns gerade befinden; persönlich als auch in kollektiver Hinsicht. Ich hoffe, es erzählt die Geschichten von allen Seiten; nicht nur seine oder ihre Sicht, sondern die Wahrheit.“

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Doch die Wahrheit – so wird gesagt – kommt niemals wirklich ans Licht. Eine Tatsache, die aber alles noch interessanter macht. Die Songs – so wie auch das richtige Leben – werfen mehr Fragen auf, als sie Antworten liefern. Undeutliche Schnappschüsse einer Hochzeit, einer Band, flüchtigen Verbindungen, langjährigen Freundschaften und anderen Beziehungsformen, die sich zwischen Menschen ergeben. Und sogar mit Journalisten. So behandelt der letzte Song auf dem Album „Coalinga“ einen Roadtrip, den Band Of Horses mit Autor Pat McGuire und Fotograf Brantley Gutierrez entlang der kalifornischen Küste für das Cover vom Filter Magazine aus dem Jahr 2007 unternahmen. Er behandelt all die kleinen Unglücke und Missgeschicke in einer kleinen Stadt, die mit dem Slogan wirbt, nach Kuhscheisse zu riechen. Als Resultat dieser Begegnung steht die immer noch andauernde Freundschaft mit McGuire und Gutierrez, die die Musik zum Track lieferten und auch an der Gitarre zu hören sind. Der Albumtitel wurde von einer Zeile aus eben jenem Artikel inspiriert. 

Doch vor diesem Abenteuer begibt sich das Publikum auf eine Reise in den Schmerz – und wieder aus dem Schmerz heraus. Über das Gefühl, einem Schlafwandler durch die fünf Stadien der Trauer zu folgen, um schließlich zu erwachen und anzukommen. „Things Are Great“ stellt ein echtes Epos in Form eines Albums dar. Keine Übung in Nostalgie oder Reue, sondern eher dem klassischen Muster des Helden auf seinem Weg folgend. Ein Pfad, auf dem Bridwell zwar nicht die Antworten findet, nach denen er sucht, doch aber am Ende eine Art von Hoffnung transportiert, die wohl jede:r von uns momentan ganz gut gebrauchen kann. 

Garbage – beautifulgarbage  (VÖ 05.11.2021)