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Radio:Talk mit Norbert Leisegang von Keimzeit

Lisa Photojournalist , Social Media
Im Rahmen Ihres jährlich wiederkehrenden Auftrittes um Weihnachten herum in Jena, haben wir die Gelegenheit genutzt um mit dem Sänger von Keimzeit ein paar Fragen auf den Grund zu gehen.

 

Lisa R:A: Keimzeit spielt nicht das Erste Mal in Jena. Laut meiner Recherche dürfte es der zehnte Besuch sein. Seit 2013 scheint es jährlich ein fester Bestandteil eurer Tourneen zu sein. Was gefällt euch besonders an Jena?

 

Norbert Leisegang: Es ist kein Zufall, wir sind ja schon seit den 90ern im Rosenkeller in Jena dabei, das hat mit dem Chef im Rosenkeller, dem Alf, der ja auch das F-Haus bewirtschaftet, zu tun. Und wenn es Alf und seine Crew nicht geben würde, dann würde es nicht so viel Keimzeit in Jena geben. Und wir arbeiten mit Alf schon lange und gut zusammen, das ist gewachsene Zusammenarbeit und wir sind glücklich darüber ihn hier zu haben. Und dann wissen wir auch, dass eine Menge Leute aus Jena und Thüringen sich jedes Mal schon freuen, wenn es im Dezember Keimzeit im F-Haus gibt.

 

Lisa R:A: Ihr habt euch 1980 in Lütte unter dem Namen Jogger gegründet und 1982 wurde daraus Keimzeit. Hattet ihr damals eine spezielle Intention den Namen zu ändern und wie ist er entstanden?

 

Norbert Leisegang: Das ist ganz einfach erklärt, am Anfang haben wir viel gecovert, gerade anglo-amerikanische Musik, z.B. Simon Garfunkel, die Beatles und ein bisschen Rolling Stones, verschiedenes haben wir gespielt. Und dann habe ich selbst angefangen, aufgrund der neuen deutschen Welle in den 80ern, inspiriert von Bands wie Extrabreit und Einstürzende Neubauten, selbst Songs zu schreiben. Und dann war uns der Name Jogger zu Englisch und haben uns dann nach einem deutschen Namen umgeschaut und uns kurzer Hand Keimzeit genannt.

Und ich stehe auch hinter dem Namen, der hat sich mittlerweile etabliert, und wenn ich jetzt nochmal eine Band gründen würde, würde ich den Namen Keimzeit wieder nutzen.

 

Lisa R:A: Wenn man es ganz genau nimmt, liegen die Wurzeln von Keimzeit bereits in den späten 70er Jahren. Damals seid ihr als Geschwister zu viert aufgetreten. War es damals Euer eigener Wunsch oder spielte damals der Antrieb der Eltern die entscheidende Rolle?

 

Norbert Leisegang: Der erste Antrieb/Ansatz kam tatsächlich von unseren Eltern, dass sie gesagt haben, die Kids brauchen irgendwas womit sie sich beschäftigen können. Es wurde viel Hausmusik bei uns zuhause gemacht und dann war es unsere jugendliche Energie, die uns dann gesagt hat, wir gründen eine Band zu viert. Wir waren ja vier Geschwister. Meine Schwester Marion sang damals noch und dann hat sich aus dem Quartett in den 80ern immer mehr eine größere Band herausgeschält. Dann haben wir noch Matthias Opitz am Keyboard gehabt. Und Ende der 80er noch Ralph Benschu am Saxophon, mit dieser Band sind wir dann bis Ender der 90er in stabiler Form getourt.

 

Lisa R:A: 2022 steht für die Band das 40-jährige Jubiläum ins Haus. Das ist ein beeindruckender Zeitraum. Habt ihr dafür schon Pläne, bzw. Ideen oder lasst ihr solche besonderen Daten ruhig auf die Band zukommen? Eventuell ist ja auch eine Wiederholung des 25-jährigen Jubiläums geplant, welches ein Konzert mit den bis dahin ehemaligen Bandmitgliedern beinhalten würde?

 

Norbert Leisegang: Einige Ideen haben wir tatsächlich schon, aber ich denke jetzt erstmal an das Jahr 2020, da werden wir noch “Das Schloss”, das aktuelle Album, spielen. Wie wir das dann 2021 gestalten, da haben wir schon ein paar Ideen, zu denen ich mich noch nicht äußern möchte, weil das auch wieder gekippt werden könnte. Auf jeden Fall wirds für uns 40 Jahre Keimzeit sein und ich denke das ist ein Privileg, wenn eine Band so lange auf der Bühne stehen darf, ein Publikum hat, das treu auch zu Keimzeit steht. Da bin ich sehr stolz drauf.

 

Lisa R:A: Ich persönlich bin das erste Mal mit 11 Jahren (1995), durch eine Klassenkameradin auf Keimzeit aufmerksam geworden. In diesem Jahr erschien das Album “Primeln und Elefanten”. Mich faszinierten die Texte damals schon und ich wünschte mir kurz darauf das 3. Studioalbum “Bunte Scherben”. Was löst es in euch aus, wenn ihr auf Menschen trefft, die so jung zu eurer Musik kamen und im Hier und Jetzt immer noch die Musik von euch hören?

 

Norbert Leisegang: Da sprichst du schon zwei Sachen an, dass wir in den 90ern ganz viel junges Publikum noch hatten, jüngere Generationen die zu den Konzerten kamen und die sich dann Ende der 90er Anfang der 00er Jahre von uns verabschiedet haben, man hat dann den eigenen Ruf verfolgt, die Familienbildung etc. und da sind dann neue Leute, die uns erst ab das “Elektromagnetische Feld” kennen, also ab 98, dadurch ist das ganze Generationsübergreifend geworden. Von den Kindern der Ersten, kommen Jugendliche oder Leute mittleren Alters zu uns und da finde ich eines gut gelöst, nämlich, dass Musik verbindend ist. und letztendlich, wer mit deutschen Texten und Poesie was anfangen kann, der ist bei Keimzeit gut aufgehoben.

 

Lisa R:A: In diesem Zusammenhang: 1997 machte die Band eine kreative Pause und kam mit dem Album “Im elektromagnetischen Feld” zurück. Laut Norbert war es der Wandel von “Müsli- Chanson- Rock’n’roll” zu zeitgemäßem Rocksound. Durch die neue Epoche wurde nun vermehrt jüngeres Publikum auf euch aufmerksam und dass zuvor größte Publikum der Band (eine Mischung aus DDR-Bluesrock Liebhabern und Ost Nostalgikern) verlor ein wenig das Interesse. Wie denkt ihr heute darüber? War es eine gute Entscheidung neue Wege zu gehen?

 

Norbert Leisegang: Da streiten sich die Geister, weil die Einen sich fragen, warum sich eine Band nochmal ein neues Gewand anlegen sollte, und für uns war es eigentlich gar keine Frage ob wir das machen, sondern dass wir das machen, jedes Mal wenn wir eine bestimmte Epoche durchlaufen, ob das dem Publikum gefällt oder nicht, davon müssen wir Abstand nehmen, das war schon damals so, als wir mit der Musik angefangen haben und dann gab es 1993 z.B. “Kling-Klang” bei dem viele Fans gesagt haben, das wir nicht mehr ihre Musik spielen würden, von daher richten wir uns nicht nach dem Publikum, sondern nach unserem eigenen Gefühl. Wenn ein guter Song geschrieben ist, kann er in vielen verschiedenen Genres sich durchsetzen, daher sind auch bei “elektrisches Feld” viele Songs gut geworden und einige nicht, aber zu denen muss man dann auch stehen.

 

Lisa R:A: Seit Euren Anfängen hat sich insbesondere in der Digitalen Welt viel verändert. Welche Rolle spielen die sozialen Medien mittlerweile für die Band und ist das “WWW” eher Segen oder Fluch für die Musikwelt?

 

Norbert Leisegang: Ich habe ja die Anfänge kennen gelernt, noch in den 80ern, wie man eine Annonce in die Zeitung gesetzt hat und dann hat man sich als Publikum in der Kneipe irgendwo getroffen und gesagt, zu der und der Band fahren wir hin. Und da brauchte man nicht einmal ein Telefon, sondern man hat analog miteinander gesprochen. Das hat sich natürlich nach der Wende krass verändert, auch mit den Computern und dem Telefon das man dann zur Verfügung hatte, letztendlich kann man heutzutage viel über die Social Media reden, ob sie gut oder schlecht sind, ich finde bei Keimzeit ist es immer noch so, dass eigentlich das Weitersagen die erste Geige spielt. Das Leute, die zu unserem Konzert gehen das irgendwo weitersagen, und sagen ‘die Band find ich großartig, das Konzert find ich toll’. Oder man hat Musik gehört, meinetwegen “Das Schloss” oder “Auf einem Esel ins All” oder damals “Bunte Scherben” und ‘find ich toll, das Album würde ich mir gerne zulegen’. Ob man sich da jetzt die CD kauft oder Vinyl oder das streamt, ist aus meiner Sicht zweitrangig. Eine Band muss immer noch auf die Bühne und ein Künstler muss auf die Bühne und muss da bestehen, wenn er das nicht schafft, dann wird es schwer und das ist genau so, wie vor 20 oder 50 Jahren schon. Ich denke auch junge Bands heutzutage kommen nicht drumherum eine gute Bühnenperformance zu haben. Gut, das Digitale ist mittlerweile Pflicht geworden, es macht ja auch jeder, toll finde ich auch, dass man im digitalen Bereich sehr schnell und unkompliziert aufnehmen kann, als noch vor 20 Jahren viel Geld und Aufwand bedeutete, das kann man heute mehr oder weniger schon im Probekeller machen. Das machen auch viele Bands, finde ich auch gut, und wir sind nicht am Ende angekommen, die digitale Welt entwickelt sich rasant weiter und ich bin gespannt, was es da noch gibt.

 

Lisa R:A: Nach so vielen Jahren als Band, auch wenn die Besetzung nicht immer dieselbe war, welche Tricks habt ihr auf Tour, wenn man so viel auf einem Haufen im Tour Bus verbringt, um sich nicht auf die Nerven zu gehen?

 

Norbert Leisegang: Gute Frage, wir verbringen ja tatsächlich die meiste Zeit mit Warten, oder mit dem Fahren auf der Autobahn oder mit der Bahn. Und da haben wir eigentlich immer eine Frisbee-Scheibe dabei oder einen Volleyball oder wir erzählen uns was, was eigentlich wichtig ist so, was das Konzert betrifft, was Veränderungen betrifft, alles wird dann auch analog, also im Gespräch ausgetauscht und wenn es dann mal einen Bandkoller gibt, bei dem irgendjemand sagt ich kann jetzt nicht mehr, der nimmt sich dann ein eigenes Auto oder auch mal den Zug. Um sich aus dem Weg zu gehen und man trifft sich dann einfach zum Konzert. Klar können wir auch alle im Band Bus mitfahren, aber jeder ist ein Mensch und jeder hat seine Aura und da kann man sich hier und da mal aus dem Weg gehen. Letztlich bin ich froh, dass die jetzige Besetzung mittlerweile seit 7 Jahren stabil ist und es ist so, dass wir keinen Vertrag untereinander haben,  dass wir so lange zusammen bleiben in der Besetzung, wie jeder einzelne das will. Jede Band hat ihre eigene Chemie, ihr eigenes Naturell und ich finde man kann immer schauen, wie macht es Keimzeit, wie macht es Clueso, aber letztendlich muss jede Band ihre eigene Beständigkeit, ihr eigenes Naturell herausfinden.

 

Lisa R:A: Gibt es für dich beim Schreiben Tabu-Themen?

 

Norbert Leisegang: Die meisten Songs schreibe ich zwar allein, manchmal ist auch ein Song von Andreas, mal einer von Sebastian, dem Flügelhornist, mit dabei. Es gibt keine Tabuthemen für mich. Das ist das Gute, das man im textlichen in der Muttersprache sich äußern kann und auch verstanden wird, empfinde ich als Vorteil und es gibt auch Themen, die mich nicht so sehr interessieren, die ich nicht so erfassen kann, das sind z.B. politische, gesellschaftskritische Themen, das können andere besser, wie ich finde. Deswegen lasse ich die Finger davon. Letztendlich sind es immer Themen, die sich um alltägliche Dinge drehen und insofern keine Tabus, aber manche Sachen kann ich halt nicht bearbeiten, weil ich dazu zu unwissend bin.

 

Lisa R:A: Was würdet ihr einem Menschen, der Keimzeit noch nie gehört hat, zu eurem neusten Album “Das Schloss” erzählen, damit er neugierig darauf wird und es in jedem Fall anhören würde?

 

Norbert Leisegang: Das A und O, wie ich bereits gesagt habe, ist das Konzert und wenn man nicht zu einem Konzert gehen kann, dann ist es natürlich möglich sich das Album mal anzuhören oder ein oder zwei Songs und dann weiß man schon ganz genau, ob man das mag oder nicht. Das geht mir mit anderen Bands genauso.  Wenn ich mir Musik anhören will, auch aktuelle Alben, da höre ich mir im deutschsprachigen vieles an, dann einfach mal Streamen oder ein Album kaufen.

 

Lisa R:A: Neben unzähligen Alben, der Zusammenarbeit mit dem Babelsberger Filmorchester, der Interpretation eigener Keimzeit Titel während eines Ballettstückes, der Gründung eines eigenen Labels und dem Leben als Musiker: Welche Träume und Pläne habt ihr euch noch nicht erfüllen können?

Welche Ziele verfolgt ihr für 2020? 

 

Norbert Leisegang: Es ist so, dass wir mit bestimmten Künstlern, wie z.B: Servana Schröder vom Staatsballett in Gera zusammengekommen sind, weil sie einfach unsere Musik toll fand und uns den Vorschlag gemacht hat, sie würde ein eigenes Ballettstück inszenieren. Das hat sie dann auch getan und wir haben dann live dort gespielt und beim Filmorchester in Babelsberg war das auch die Idee des Intendanten, der auf uns zugekommen ist. So sind wir eigentlich ziemlich beglückt, über die Leute, die zu uns kommen und uns etwas Vorschlagen, dann dürfen wir entscheiden, ob wir das Machen oder nicht. Soweit zu den bisherigen Zusammenarbeiten.  Oder wie heute z.B: in Jena, ist es so, dass wir im Herbst in Prag waren und da haben wir ein Konzert gegeben und einen Singer Songwriter dort kennen gelernt. Und der ist nicht mal Vorband, der ist direkt heute kooperativ dabei. Wir werden einiges mit ihm zusammen performen und er wird auf Tschechisch und auf Deutsch singen. Daher haben wir ihn gebeten uns auf unseren letzten drei Konzerten dieses Jahr zu unterstützen, das sind Dinge, die mehr oder weniger zufällig passieren.

Und wenn im nächsten Jahr irgendwas dabei ist, wo wir sagen, mit dem wollen wir gerne was zusammen machen, dann fragen wir da an und sehen zu, dass es gemeinsam auf die Bühne gestellt wird. De Vorteil der Musik ist es, man geht aufeinander zu, ist offen und freut sich, wenn Kooperationen entstehen. Und wenn es dann noch ein Publikum gibt, das es toll findet, dann ist viel getan.

Vorband´s haben wir selbst weniger, weil wir selber schon zweieinhalb Stunden spielen.

 

Lisa R:A: Vielen Dank für das ausführliche Interview und eine besinnliche Weihnachtszeit und alles Gute für das das nächste Jahr.