Soeckers Pressefoto 01 Credit Luis Engels scaled

Soeckers mit “Nie Wieder”

Soeckers
Photo by: Marko Klahold

Soeckers. Was für eine Scheiße. Da raufst du dich als Band zusammen, gründest dich, alle lernen ihre Instrumente immer besser spielen. Du schreibst Song um Song, findest eine Bandchemie, eine Identität als Gruppe, einen Sound. Die Songs werden besser und eigener. Dann findest du mit Paul Gallister (Wanda) einen starken Produzenten, der total mag, was du da tust, und anbietet, dein Debütalbum zu produzieren.

Du ziehst für einen Monat nach Wien, um in Gallisters Studio dein erstes Album aufzunehmen, schläfst wenig und schlecht, weil du alles in diese Aufnahmen steckst. Du  arbeitest dir den Arsch ab, investierst jeden wachen Gedanken in die 13 Songs, die gerade entstehen, textest Zeile um Zeile, verwirfst sie wieder, findest noch bessere. Klar, bei alldem wächst natürlich auch die Freundschaft untereinander, auch wenn es manchmal etwas Reibung gibt darüber,  wie ein Song letztlich klingen soll. Doch am Ende stehst du da mit einem richtig guten Album in  bester Garagenrock-Manier, irgendwo zwischen den Strokes und den Libertines, nur eben mit coolen deutschen Texten.  

Es ist das Werk, in das du alles reinsteckst, was du bislang als Musiker zu leisten in der Lage  warst. Du bist stolz und glücklich, als „Kopfkarussell“ erscheint, und freust dich darauf, diese Platte  auf die Bühne zu bringen. Den bereits über 100 gespielten Shows viele viele Dutzend weitere hinzu  zu fügen. Auf deine erste eigene Headliner-Tour zu gehen. Zu sehen, wie Abend für Abend mehr  Besucher zu deinen Konzerten kommen. Wie sie die Texte mitsingen, mitfühlen, mit-erleben. Endlich kann es losgehen. So richtig losgehen. Früchte ernten. Deine Musik rausbringen in die Welt.  Die Energie spüren, mit der deine eigenen Songs die Clubs zum Brennen bringen. Mit Fans die  Nacht durchfeiern. Mit deinen Freunden die beste Zeit deines bisherigen Lebens haben.  

Und dann ist Lockdown. Was für eine Scheiße. 

 

Soeckers über ihr neues Werk

 

„Natürlich ist diese Situation für jeden Künstler gleich beschissen gewesen“, erinnert sich Gitarrist  Julian Marpert an den letzten Herbst, als im September „KopfKarussell“ erschien. „Aber ich wage  zu behaupten, dass es für eine Band, die gerade ihr Debüt veröffentlicht hat und entsprechend  heiß ist, noch mal extra blöd ist, dass man keine Konzerte spielen konnte. Diese Corona-Schelle war schon hart.“

Umso mehr, wenn man erlebt, mit welcher Begeisterung das Debütalbum flächendeckend aufgenommen wird. „Doch was ist die Lösung?“, fragt sich Soeckers-Frontmann Johannes Schulte.

 

„Kopf in den Sand stecken? Sich selber bemitleiden? Das ist ist nicht unser Ding.  Also haben wir halt einfach weiter gemacht.“  

Mit der Folge, dass nun, gerade mal ein Jahr nach „Kopfkarussell“, bereits das zweite Soeckers-Album vorliegt. Welches – und jetzt wird es wirklich spannend – darüber hinaus so viel mehr ist als  nur das zweite Werk, der nächste Schritt, eine weitere Kollektion guter Songs. Man greift wahrlich  nicht zu hoch, wenn man diese zweite Platte als Quantensprung beschreibt. Als Ergebnis einer  Entwicklung, für die andere Bands drei, vier Alben benötigen. Und dies mit Vorsatz und klarer Ansage.  

Denn: „Die Idee des Debüts war ja, unsere rohe, direkte Live-Energie möglichst authentisch einzu fangen und aufs Band zu bringen“, erklärt Marpert. „Das Album sollte genau so klingen und wirken  wie eine Sockers-Show. Für die zweite Platte war der Ansatz nun ein ganz anderer: Lass uns alles  probieren, was man im Rahmen einer Studioproduktion probieren kann. Lass uns, zumindest wo es  passt, das ganze Besteck auffahren, mit Streichern, Tasteninstrumenten, Chören, Overdubs. Lass  uns schauen, wie weit wir die Arrangements für jeden einzelnen Song personalisieren, die Stücke  noch spezieller und eigener machen können. Was fällt uns ein, was passt, was kann man noch  ausprobieren, was steht einem Song gut und was steht uns als Band nicht?“

Gitarrist Nils Temme,  der zusammen mit seinem Bruder Lars am Schlagzeug das Quartett vervollständigt, bringt es auf  den einfachen Nenner:

„Erst mal galt: Mehr ist mehr. Nur um dann zu schauen, welches mehr zu  viel ist.“  

Soeckers Pressefoto 04 Credit Luis Engels

Klar: Das sind Prozesse, die letztlich die meisten Bands durchlaufen. Aber doch in aller Regel über  einen viel größeren Zeitraum. Nehmen wir als Beispiel Tocotronic, die sieben Jahre und fünf Alben  brauchten, um bei „Tocotronic“ anzukommen, ihrem zurückgelehnten Werk voll orchestralem  Glanz. Selbst die Soeckers-internen Bandhelden The Strokes benötigten erst mal drei Garagenrock Werke, bevor sie sich mit „Angles“ stilistisch weit öffneten. Soeckers hingegen klingen nun gleich  auf Album Nummer zwei dermaßen reif, erwachsen und gelassen, als würden sie schon seit min destens zehn Jahren intensiv das Platte-Tour-Platte-Tour-Game mitspielen.  

Dabei geholfen haben ihnen zwei Aspekte. Zum einen die Nähe und das Vertrauen zu ihrem Produzenten Gallister, der in seinem Studio in Wien auch das zweite Werk betreute und die Band konsequent dazu anhielt, raus aus der Box zu denken und sich alles zu trauen, was ihnen einfällt. Und  zum zweiten – so kurios das klingt – „hat diese blöde Pandemie-Situation die Vorgänge auch irgendwie befeuert“, glaubt Johannes.

 

„Wir haben den kreativen Prozess rund um das erste Album  im Grunde gar nicht erst abreißen lassen und einfach direkt weiter gemacht, nur eben unter anderen Vorzeichen und mit neuen Ansätzen. Das hat dem kreativen Fluss zumindest nicht geschadet.“ 

Eines wird beim Hören der neuen Songs – darunter etwa die bereits veröffentlichten Singles „Wessumer Platz“, „Lichter“ und „Wofür die ganze Arbeit“ – sofort deutlich: Soeckers sind mehr denn je eine absolute Kollektiv-Unternehmung, bei der jeder seinen ganz individuellen Teil zum Gelingen  beiträgt. Wo erst mal jede Idee willkommen ist und ausprobiert wird, um dann zu schauen, ob sie allen taugt.

 

Was sich etwa auch daran zeigt, erzählt Lars, dass „auf der neuen Platte jeder von uns  mal den Leadgesang übernimmt. Klar, wir waren noch nie eine Band mit DEM einen Leadsänger,  weil wir alle halt ganz gut singen können. Aber es ist doch neu und war für uns eine bewusste Entscheidung, dass nun jeder von uns ‚seine‘ Songs hat, in denen er als Hauptsänger fungiert.“ 

Unter dem Strich steht nun ein Album, das nicht nur in identischer Weise begeistern kann wie das Debüt, sondern das darüber hinaus überrascht, den Hörer erstaunt und bisweilen auch ein bisschen fordert. Etwa, wenn eher leise und vor allem schöne Songs plötzlich aufgehen in einen recht  krachigen Jam-Part. Oder wenn sich die Singstrukturen vorsätzlich lösen vom klassischen Schema und in Richtungen und Soundkaskaden münden, mit denen man als Hörer überhaupt nicht rechnet.  

Doch vor allem steht hier am Ende eine Platte, die beweist, wie unfassbar dicht diese Einheit aus  vier guten Freunden aus dem Münsteraner Hinterland als kreative Zelle funktioniert. Wie verdammt gut diese vier Musiker darin sind, Songs von Wert, Tiefe und Vielschichtigkeit zu komponieren und sie spannend umzusetzen. Und wie sehr die Soeckers eben deutlich mehr sind als „nur“ die  deutschsprachigen Strokes: Eine eingeschworene Gang, von der man noch vieles erwarten kann. 

 

„Wir sind nicht angetreten, um die coolste Garage-Rockband Deutschlands zu werden“, sagt Johannes abschließend. „Wir sind angetreten, um wir selbst zu sein.“

Wer die neuen Songs hört, versteht sofort bis ins Mark, was er damit meint. 

Tourdaten  

NIE WIEDER TOUR  

09.04. Ahaus, Attic

24.04. Köln, C/O Pop

18.05. Leipzig, Naumann’s (Kaffkiez Support)

06.09. Mainz, Schon Schön

15.09. Düsseldorf, Tube

05.11. Rietberg, KGB Langenberg

17.11. Erlangen, E-Werk

03.12. Gronau, Rock & Pop Museum

 

Tickets

https://www.songkick.com/artists/9525284-soeckers

Soeckers Kopfkarussell Review (VÖ 25.09.2020)